Geistliches Wort (Oktober 2012)

Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Offenbarung 21,4

Liebe Gemeindeglieder, liebe Freunde,

mit großen Schritten gehen wir zu auf das Ende des Kirchenjahres, in dem es um die Themen Tod und Ewigkeit geht. Sogar die ARD widmet dem Thema „Leben mit dem Tod“ eine ganze Themenwoche (vom 17. bis 23. November). In unseren beiden Gemeinden werden Tod und Ewigkeit besonders beim Sterbegedenken am Ewigkeitssonntag wieder bewusst werden. Als erste Einstimmung möchte ich hier eine Erzählung wie- dergeben von Theresa Demski, 29-jährige Redakteurin und Pfarrers- tochter aus Nordhessen:

„Ich erinnere mich an jenen Frühling so gut wie an kaum eine andere Zeit in meiner Kindheit. Wir waren unbeschwert, Probleme, über die wir Kin- der uns heute den Kopf zerbrachen, spielten schon morgen keine Rolle mehr. Bis zu jenem Tag. Als wir aus der Schule kamen, war es so ruhig im Haus, wie noch nie zuvor. Unsere Mutter wartete in der Küche auf uns und erzählte, Großvater sei gestorben. Ich zögerte keinen Augenblick, sondern lief runter zum Haus meiner Großeltern. Er konnte doch noch nicht einfach verschwunden sein. Doch als ich aufgebracht in das kleine Haus lief, das mir so vertraut war, trugen sie gerade den Sarg die Treppe hinab. Meine Mutter, die mir gefolgt war, nahm mich damals in den Arm und versuchte mir zu erklären, dass der Tod nicht das Ende und Opa nun im Himmel sei. Aber was wollte ich mit einem Großvater im Himmel? Ich wollte mit ihm Blumen pflanzen, Spaziergänge unternehmen und Musik machen. Und er wollte das sicher auch viel lieber, als im Himmel zu sein. In unser Haus zog eine Traurigkeit ein, die uns alle zu verändern schien. Mein Vater weinte plötzlich, meine Mutter versuchte zu trösten und immer wieder kamen Menschen mit Blumen und Karten. Großmutter zog für einige Tage bei uns ein und uns Kindern wurde gesagt, dass wir sie in Ruhe trauern lassen sollten. Also gingen wir zur Schule, zum Sport und zum Musikunterricht wie immer – und kehrten dann in unser trauriges Zuhause zurück.

Eines Abends, als ich auf der großen Wiese hinter dem Haus Blumen für das frische Grab pflückte, sah ich mei- ne Großmutter. Sie saß ganz ruhig auf einer Bank und schien zu lächeln. Ich zögerte kurz, weil wir doch um Rücksicht gebeten worden waren, aber dann kletterte ich auf die Bank neben sie. ‚Warum weinst du gar nicht?‘, fragte ich sie vorsichtig und sie sah mich an, wie so viele Male zuvor.

‚Alle weinen die ganze Zeit‘, erklärte ich ihr, ‚bist du gar nicht traurig?‘ Wieder lächelte sie. ‚Ich habe fast mein ganzes Leben mit deinem Groß- vater verbracht‘, sagte sie dann, ‚und ich bin sehr traurig.‘ Aber sie sah gar nicht traurig aus. Verändert vielleicht, und unter ihren Augen waren eigen- artige Ränder, aber in ihrem Blick lag eine Ruhe, die ich nie zuvor dort ge- sehen hatte. Dann strich sie mir über den Kopf: ‚In einem waren Opa und

ich uns immer sicher: Das Beste, mein Schatz, das Beste, das kommt erst noch.‘ Und obwohl sie kein weiteres Wort sagte, obwohl sie mir nichts er- klärte, verstand ich. Ich verstand ihre Ruhe, ihre leise Trauer und vor allem ihr Lächeln. Sie lebten gerne, sie hat- ten die harten Jahre durchkämpft und die guten Zeiten genossen, sie hatten ihr Leben geliebt, aber immer waren sie sicher gewesen: ‚Das Beste kommt noch.‘ Und mitten im Traurigsein konnte ich mich plötzlich für meinen Opa im Himmel freuen. Für ihn hatte das Beste schon begonnen.“

Über dieses „Beste“ also wollen wir gemeinsam nachdenken in den Gottesdiensten der nächsten Wochen. Dazu lädt Sie herzlich ein

Ihr Pfarrvikar Johannes Heicke